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ÜBER THERESIENSTADT
Die Festung
Die vom österreichischen Regenten Joseph II. 1780-1790 erbaute Festung Theresienstadt liegt etwa 60 km nördlich von Prag. Er benannte die Stadt nach seiner Mutter, der Kaiserin Maria Theresia. Theresienstadt umfasste die Große Festung mit einigen Gebäuden für die Zivilbevölkerung, einigen Läden und den Kasernen und die Kleine Festung, die als Gefängnis für militärische und politische Häftlinge diente und der Stadt vorgelagert war.
Nach dem Abschluss des Münchner Abkommens wurde das Sudetengebiet von der Tschechoslowakei abgetrennt und Theresienstadt zur Grenzstadt zum Deutschen Reich. Viele tschechische Flüchtlinge fanden hier Zuflucht. Doch nach der Ausrufung des Protektorats Böhmen und Mähren am 15.3.1939 erklärten die Nationalsozialisten Theresienstadt zur Wohnsiedlung für die jüdische Bevölkerung. In der Kleinen Festung brachte man die ersten politischen Gefangenen unter. Im Jahre 1940 richtete die Prager Gestapo dort ihr Polizeigefängnis ein.
Das Ghetto
Theresienstadt erschien den Nationalsozialisten für die Bewachung jüdischer Häftlinge und gleichzeitig für die Unterbringung des Wachpersonals äußerst günstig. So begann ein Aufbaukommando am 24.11.1941 mit der Umwandlung der Festungsstadt in ein Ghetto. Sie sollte im System der „Endlösung der Judenfrage“ als Sammel- und Durchgangslager für Juden aus dem Protektorat Böhmen und Mähren dienen. Hunger, unmenschliche Lebensbedingungen und Krankheiten dezimierten ihre Zahl vor der Deportation nach Osten. Auch das gehörte zum System.
Nach den Beschlüssen der Wannsee-Konferenz (20.1.1942) erweiterten die Nationalsozialisten die Aufgaben Theresienstadts: Die Stadt sollte als Altersghetto für deutsche und Österreichische Juden über 65 Jahre und Prominente sein.
Zahlen
Bis zum Kriegsende passierten etwa 150.000 Häftlinge das Ghetto. Die ersten Transporte in die Vernichtungslager im Osten verließen Theresienstadt am 9.1.1942. Insgesamt wurden bis zum letzten Transport nach Auschwitz-Birkenau am 28.10.1944 über 87.000 Menschen in 63 Transporten in den Tod geschickt, von denen nur etwa 4.000 den Krieg überlebten.
Die Menschen mussten in Theresienstadt unsagbares Leid ertragen. Aber es gab auch Ereignisse, Erlebnisse und Erfahrungen, die ihnen Kraft und Hoffnung gaben.
Helga Weissová-Hošková: WIE DIE ZEICHNUNGEN ENTSTANDEN
„Zeichne, was Du siehst!“,
sagte mein Vater zu mir, nachdem ich ihm die Zeichnung mit dem Schneemann und den spielenden Kindern in die Männerkaserne geschmuggelt hatte. Das war im Dezember 1941, kurz nach unserer Ankunft in Theresienstadt. Der Schneemann war eigentlich meine letzte kindliche Zeichnung. Durch den Satz meines Vaters und eigenen Antrieb fühlte ich mich dazu aufgerufen, von nun an in meinen Zeichnungen das alltägliche Leben im Ghetto zu erfassen. Die Eindrücke, die mich von diesem Zeitpunkt an prägen sollten, beendeten meine Kindheit.
Mit dem Block auf den Knien
Die Mehrheit meiner Zeichnungen entstand im „Mädchenheim L 410“, wo ich meinen Platz in der mittleren Etage eines dreistöckigen Bettes direkt am Fenster mit Ausblick auf die Straße hatte. Mit dem Block auf den Knien zeichnete ich auf diesem Bett alles, was ich sah und erlebte. Nur wenige Zeichnungen entstanden draußen, einzelne Straßen und Kasernenhöfe zeichnete ich gleich am Ort. Ich brachte einen Zeichenblock, einen Malkasten mit Wasserfarben, Farb- und normale Stifte nach Theresienstadt mit. Die Farben reichten fast für drei Jahre. Das hochwertige Papier von zu Hause ging jedoch bald zur Neige, später benutzte ich unterschiedliches Papier, alles, was ich mir besorgen konnte. So fertigte ich ungefähr hundert Zeichnungen an.
Bilder als Gefahr
Die erwachsenen Maler arbeiteten in der sogenannten „Zeichenstube“, wo sie verschiedene technische Zeichnungen, Graphiken, Pläne, Plakate usw. anfertigten. Sie hatten Zugang zum von mir so ersehnten Malerbedarf. Mein Vater brachte mir ab und zu etwas davon mit. Die Maler schufen aber auch heimlich künstlerische Werke. Viele dieser Arbeiten konnten gerettet werden, weil man sie versteckt hatte. Es gelang auch, einige Werke aus dem Ghetto herauszuschmuggeln. Wurden Künstler beim Schmuggeln ihrer Bilder entdeckt, brachte man sie und ihre Familien in die Kleine Festung. Dort wurden sie ermordet oder in andere Konzentrationslager gebracht. – Im Kinderheim suchte man solche Zeichnungen zum Glück nicht.
Neben den Bildern, die das alltägliche Leben im Ghetto dokumentieren, notierte ich auch meine eigenen Erlebnisse. 1944 wurden meine Mutter und ich drei Tage nach meinem Vater nach Auschwitz deportiert. Vorher hatte ich die Zeichnungen und Notizen meinem Onkel in Verwahrung gegeben, der sie versteckte und damit rettete.
Gegen das Vergessen
Gleich nach der Befreiung, im Sommer 1945, als ich noch alles frisch im Gedächtnis hatte, ergänzte ich meine Theresienstädter Erinnerungen und schrieb, was ich in den folgenden Konzentrationslagern erlebt hatte, denn dort hatte es keine Möglichkeit mehr gegeben, etwas aufzuschreiben und zu zeichnen.
Da es keine Fotografien aus der Zeit gibt, sind die Zeichnungen die einzigen Bilddokumente. Ich hoffe, damit ein anschauliches, überzeugendes und dauerhaftes Zeugnis jener Zeit geschaffen zu haben, eines, das dazu beitragen soll, dass Vergangenes nicht in Vergessenheit gerät, damit sich Ähnliches nicht wiederholen kann!
Helga Weissová-Hošková: LEBENSLAUF
Von den 15.000 Kindern, die nach Theresienstadt und später nach Auschwitz deportiert wurden, überlebten etwa hundert den Holocaust. Ich bin eines von ihnen.
Am 10. November 1929 wurde ich in Prag geboren. Mein Vater Otto Weiss arbeitete als Bankangestellter bei der Länderbank in Prag; meine Mutter Irena, geborene Fuchsová, war von Beruf Näherin.
Einen Monat nach meinem zwölften Geburtstag, am 10. Dezember 1941, wurden meine Eltern und ich aufgefordert, uns einem der ersten Transporte nach Theresienstadt anzuschließen. Hier musste ich fast drei Jahre verbringen. Danach wurde ich nach Auschwitz, Freiberg und Mauthausen deportiert. Im Mai 1945 wurde ich von den Amerikanern befreit.
Nach dem Krieg kehrten nur meine Mutter und ich nach Prag zurück. Mein Vater hatte nicht überlebt. Ich studierte an der Kunsthochschule und wurde akademische Malerin. Meine Bilder sind in der ganzen Welt bekannt.
1954 heiratete ich den Musiker Jiri Hošek und bekam einen Sohn und eine Tochter. Heute bin ich Großmutter von drei Enkelkindern.
Meine Bilder aus Theresienstadt zeugen von der Grausamkeit und den Leiden des Zweiten Weltkrieges – eine Thematik, die mich durch mein ganzes Leben begleitet hat und mein künstlerisches Schaffen beeinflusste.
Helga Weissová-Hošková